Masterstudiengang "Drug Regulatory Affairs"

Master-Thesis

Besonderheiten der Arzneimittelzulassung in der Katastrophenpharmazie unter Mitbetrachtung des Geschäftsbereichs BMVg - eine Einschätzung

Ralf Klünder (Abschlußjahr: 2018)

Zusammenfassung
Sprache: Deutsch
Als Apotheker in Diensten der Bundeswehr wird man häufig gerade durch zivile Kollegen aus dem Bereich Offizinpharmazie mit Sätzen konfrontiert deren Tenor in etwa lautet: “Bei euch ist ja alles anders. Eure Arzneimittel tragen ja nicht einmal ein Verfalldatum“. Aussagen wie diese kritisch zu prüfen und die Tatsachen und Hintergründe darzulegen, ist ein Hauptziel dieser Masterarbeit.
Tatsächlich gibt es für den Bereich Katastrophenpharmazie / Katastrophenschutz in der nationalen Gesetzgebung z.T. umfangreiche (regulatorische) Besonderheiten resp. Erleichterungen. Beginnend mit § 71 (1) Arzneimittelgesetz (AMG), der zum beschaffen und bevorraten von Arzneimitteln ohne Verfalldatum (VD) ermächtigt.
Sowohl umfassender als auch wichtiger ist jedoch die "Arzneimittelgesetzzivilschutzausnahmeverordnung (AMGZSAV)", erlassen basierend auf der Ermächtigung in § 72 (2) in Verbindung mit § 71 (3) AMG.
Gute Beispiele für auf Basis genannter Sonderregelungen bevorrateter Arzneimittel sind beispielsweise:

Bevorratete Produkte ohne Zulassung als Arzneimittel die im Bedarfsfall ausgegeben werden:

  • Berliner Blau
    Bevorratet als Bulkware (Rohsubstanz) zur Verwendung als Dekorporationstherapeutikum bei Thallium- oder Cäsiumintoxikation.
  • Oseltamivir
    Neuraminidaseinhibitor bevorratet als Bulkware (Rohsubstanz) als Wirkstoff für das Katastrophenszenarium "Vogelgrippe" um im Pandemiefall zunächst einen unspezifischen Virusschutz aufzubauen.
    In beiden Fällen übernimmt die Bundeswehr sowohl die Verantwortung für Sicherheit und Unbedenklichkeit der Produkte, als auch für die Anwendungssicherheit.

Bevorratete zugelassene Produkte die entgegen der Forderungen der §§ 10 – 11a AMG im Bedarfsfall ausgegeben werden.
An Hand der folgenden Beispiele sollen die besondere Deklaration und die Erleichterungen derselben von Katastrophenpharmaka dargelegt werden.

  • ATOX II Combopen Autoinjektor
    Der Combopen wird in der Selbst- und Kameradenhilfe bei Vergiftungen mit Nervenkampfstoffen mit parasympatholytischer Wirkung (phosphororganische Cholinesterasehemmstoffe) angewendet.
    Die Deklaration verzichtet dabei auf ein VD und auch die Art der Anwendung ist vereinfacht mittels Piktogrammen dargestellt.
  • Pyridostigminbromid–Tabletten
    Pyridostigmin-Tabletten werden zur prophylaktischen, medizinisch empfohlenen Behandlung einer Vergiftung mit den Nervenkampfstoffen vom Typ Cholinesterasehemmer (hier vor allem Soman und Tabun) eingesetzt. Im Bedarfsfall wird das Produkt in Blisterstreifenpackungen bereitgestellt. Die Anwendungshinweise sind dabei lediglich auf der äußeren Umhüllung aufgebracht; ein Beipackzettel fehlt.
  • Kaliumiodid-Tabletten
    Wie das genannte Berliner Blau wird auch Kaliumiodid bei der Indikation "Strahlenschutz" angewendet. Anders als Berliner Blau handelt es sich hier aber nicht um ein Antidot, sondern führt bei prophylaktischer Gabe zu einer "Iodblockade" in der Schilddrüse.
    Auch bei den Iodidtabletten handelt es sich um ein regulär zugelassenes Arzneimittel. Die Abgabe erfolgt im Bedarfsfall zusammen mit einem Merkblatt an Stelle eines Beipackzettels und vollständiger Deklaration. Dieses Merkblatt enthält sämtliche wichtigen Informationen zur Anwendung unter Zuhilfenahme von Piktogrammen.

Bevor die Sondergesetzgebung (AMGZSAV) im Bereich der Bundeswehr angewendet werden kann, muss vorher durch das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) eine "besondere Veranlassung" festgestellt werden. Erst dann beginnt das ressortübergreifende Zusammenspiel der beteiligten Ministerien BMVg, Bundesministerium für Gesundheit (BMG), Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit BMUB und Bundesministerium des Inneren (BMI) und damit auch das Zusammenwirken ziviler und militärischer Personal- und Materialressourcen, wie beispielsweise bei der Abgabe bevorrateter Katastrophenarzneimittel (Ohne VD). Entscheidend ist hier die initial durch das BMVg festgestellte "besondere Veranlassung" auf Grund derer das komplizierte Zusammenspiel militärischer und ziviler Kräfte koordiniert durch die Landeskommandos (LKdo) und nachgeordnet die Bezirks- bzw. Kreisverbindungskommandos (BVK und KVK) initiiert wird. Die KVK und BVK stellen hierbei die direkte Schnittstelle zwischen Militärpharmazie und dem (zivilen) Katastrophenschutz dar.
Die Pharmakovigilanz und insbesondere die Anwendungssicherheit im Rahmen der Eigenvollzugskompetenz werden durch persönliche Ausbildung / Einweisung sichergestellt, die im Geschäftsbereich des BMVg im Verantwortungsbereich des Zentralen Sanitätsdienstes (ZSan) liegt. Zudem erfolgt die Bevorratung und Distribution der Einzelverbrauchsgüter Sanitätsmaterial (EVGSan) grundsätzlich unter Verantwortung, Aufsicht und Kontrolle von Sanitätsoffizieren (Apotheker und/oder Arzt). Die Abgabe erfolgt dabei stets personenbezogen in der erforderlichen Menge.
Oben genannte Sonderregelungen gelten nur für ausgewählte Arzneimittel, die für den Katastrophenfall bevorratet werden. Sonstige EVGSan und "Arzneimittel für den täglichen Gebrauch" entstammen regulären Vertriebswegen der Pharmaindustrie und unterliegen als solche der regulären Gesetzgebung.
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Anlage: 1, Seiten: 1